Mein Film des Monats: Zwart Water (Two Eyes Staring)

NL-BE 2010 – Regie: Elbert van Strien – Darsteller: Isabelle Stokkel, Barry Atsma, Bart Slegers – FSK 16

In den Niederlanden und Belgien gibt es nicht nur Fritten und Waffeln. Schon so mancher schauriger Film aus unseren Nachbarländern hat es mal mehr, mal weniger erfolgreich auf Zelluloid geschafft. ZWART WATER, bei uns als TWO EYES STARING erschienen, kombiniert geschickt die Kernelemente eines Spukhausgrusel, einer Geistergeschichte und eines Dramas. Doch reicht das, um sich von der schier unendlichen Masse der paranormalen Horrorfilme abzuheben? Das kläre ich in der folgenden Rezension.

Die neunjährige Lisa (Isabelle Stokkel) zieht mit ihren Eltern Christine (Hadewych Minis) und Paul (Barry Atsma) nach Belgien in das Haus von Christines verstorbener Mutter. Das kleine Mädchen findet in einem Koffer das alte Tagebuch ihrer Mutter, in dem erschreckende Dinge niedergeschrieben sind. Kurz darauf begegnet Lisa dem Geist von Karen (Charlotte Arnoldy). Die ruhelose Seele behauptet, sie sei die Zwillingsschwester von Christine und sei durch sie ermordet worden. Es dauert nicht lange, und eine Reihe unheimlicher Dinge geschieht. Lisas Eltern glauben die Geschichte von dem untoten Mädchen nicht. Insbesondere ihre Mutter verhält sich auffällig defensiv, wenn es um ihre Schwester geht. Was steckt hinter den seltsamen Vorkommnissen?

Ich höre sie unken. „Boah, nee. Geisterfilme gibt es wie Sand am Meer. Die sind doch alle gleich!“. Das trifft auf einen Großteil der Genrevertreter tatsächlich zu. Auf den ersten Blick mag man das auch bei TWO EYES STARING vermuten. Denn die Prämisse des Films liest sich so, wie es bei hunderten Werken rund um Spukhäuser und Geistergestalten der Fall ist. Statt sich in den immer selben Geschichten zu verlieren, hat Regisseur und Drehbuchautor Elbert van Strien den Fokus mehr auf eine menschliche Tragödie gelegt, bei der die Gruselgeschichte schmückendes, dennoch interessantes Beiwerk ist. Es wirkt fast wie eine Geschichte, die sich von Stephen Kings Klassiker THE SHINING inspirieren ließ. Die Geistererscheinung Karen fungiert als „unheimliche Freundin“ des kleinen Mädchens, die zunächst freundlich erscheint, im Laufe der Handlung jedoch eine dunkle Seite offenbart, die einen negativen Einfluss auf die gesamte Familie ausübt.

Und hier ist der Film erfrischend anders. Die wahre Bedrohung geht von der Familie selbst aus. Schnell wird klar, dass Christine ein sehr egoistischer Mensch ist und im Grunde ein sehr gestörtes Verhältnis zu ihrer Tochter hat. Auch ihr Mann hat unter ihrer Persönlichkeit zu leiden. Wenn ihre Bedürfnisse nicht im Zentrum stehen und es nicht nach ihrer Nase läuft, dann werden die übrigen Familienmitglieder mit Ignoranz und Vorwürfen bestraft. Warum das so ist, das entfaltet sich über die Laufzeit von knapp 105 Minuten sehr effektiv. Mit jeder negativen Steigerung des dysfunktionalen Familienkonstruktes ändert sich auch das Wesen von Lisa und Karen. Karen nimmt mehr und mehr böse Züge an, manipuliert das Kind für ihre Zwecke und schafft es sogar, Einfluss auf den Vater der Familie zu nehmen, ohne daran selbst aktiv beteiligt zu sein. Dass dabei ein steter Spannungsbogen aufrechterhalten werden kann, das liegt daran, dass die Erklärung für sämtliche Ereignisse und Handlungsstränge immer wieder in neue Bahnen gelenkt wird, falsche Hinweise offenbart und den Zuschauer immer wieder, im übertragenden Sinne, vor eine Mauer rennen lässt. Hier gibt es nicht nur einen einzigen großen Twist, man erlebt sie fast im viertelstündigen Takt. Ein mutiger Ansatz, der komplett hätte in die Hose gehen können. Das passiert TWO EYES STARING aber nicht. Alles, was aufgebaut und später wieder eingerissen wird, kann trotzdem in einen logischen Zusammenhang gebracht werden, sodass der Ablauf zu keiner Zeit konstruiert oder forciert wirkt.

Grusel und Horror bleiben dabei nicht auf der Strecke. Immer wieder gibt es atmosphärisch gelungene Sequenzen, in denen die Realität auch mal aus dem Fenster geworfen wird. Karen darf das Zepter in die Hand nehmen und vom simplen Jumpscare bis hin zu rabenschwarzen, beängstigenden und surrealen Sequenzen ein Feuerwerk abbrennen, wie es sich jeder Gruselfan wünscht. Der Horror eines gestörten Verhältnisses zwischen den Protagonisten und die Bedrohung einer bösen und übernatürlichen Kraft ergänzen sich zu einem schaurigen Drama, das mit den Konventionen der Genres bewusst bricht. Ich für meinen Teil war interessiert, schockiert und habe sogar Momente erlebt, in denen sich das ungute Gefühl, dass den roten Faden in TWO EYES STARING bildet, auf mich übertragen hat. Insbesondere im letzten Drittel des Films geschehen Dinge, die teils nur schwer mit anzusehen sind. Man möchte fast den Fernseher anschreien, weil man ahnt, wie die Sache ausgeht. Oder doch nicht? Denn einen richtigen Hammer leistet man sich nach dem eigentlichen Finale und präsentiert einen letzten Twist, der das bisher gesehene infrage stellt, ohne jedoch einen billigen Effekt zu nutzen. Um es platt auszudrücken – ein richtiger WTF-Moment, der schon ein wenig an einem nagen kann. Dennoch so genial umgesetzt, dass man sich die Frage stellen muss, warum man das nicht früher erkannt hat. Man bleibt zurück mit dem Wissen, dass man nicht aus seiner Haut kann, die Vergangenheit einen immer einholt, sollte man auch noch so sehr versuchen sie zu verdrängen und dass man das ist, zu dem man gemacht wird. Gefördert durch die Leute, die es einem vorleben. Mehr mag ich aber gar nicht mehr dazu sagen, denn ich versuche so gut wie möglich Spoiler zu vermeiden.

Umso mehr darf ich über die Umsetzung dieser niederländisch-belgischen Produktion sagen. TWO EYES STARING ist ein Film, der sich nicht hinter großen US-Produktionen verstecken muss. Ganz im Gegenteil. Die Rollen sind hervorragend besetzt. Die damals noch sehr junge Isabelle Stokkel spielt auf einem Niveau mit ihren Filmeltern Hadewych Minis und Barry Atsma. Schauspieler sind immer dann gut, wenn man ihnen ihre Rollen abkauft. Wenn man nicht das Gefühl hat, dass hier gerade Leute eine Rolle nur spielen. Das ist hier der Fall. Jeder schlüpft hier in den angedachten Part, sodass man fast den Eindruck bekommt, man wäre ein Beobachter innerhalb einer problematischen Familie. Einen großen Teil trägt auch das Set dazu bei. TWO EYES STARING spielt zu 80 Prozent in dem großen Haus, das fast schon ein Anwesen ist. Geschmackvoll und dennoch beklemmend, das trifft es wohl ganz gut. Bewusst wählte man dazu eine kühle Farbgebung, die heitere oder gar fröhliche Momente bereits im Keim erstickt. Gelungen ist es dabei, nicht in „Haunted House“ Klischees gefallen zu sein. Es gibt keine billigen Props und Effekte, die nur dem Zweck dienen, schaurig zu sein. Das Production Design ist aus einem Guss. Toll sind auch die Kameraarbeit und die Ausleuchtung einzelner Szenen. Häufig sieht man die Szenerie in weitwinkligen Totalen, Bewegung wird dort genutzt, wo sie nötig ist und der Stimmung einer Passage dient. Dies unterstreicht den von mir oben beschriebenen Charakter, eher ein Beobachter, statt nur Zuschauer zu sein. Als sehr stimmig empfand zudem ich die musikalische Untermalung und den Einsatz von Geräuschen / Klängen. Immer passend zur aktuellen Atmosphäre.

So ist es sicherlich kein Zufall, dass es über lange Zeit den Plan gab, ein US-Remake des Benelux-Gruslers zu drehen. In der Hauptrolle war Charlize Theron vorgesehen. Entstanden ist das Endprodukt zwar (noch) nicht, doch ist es ein klares Zeichen dafür, dass man in der hier vorliegenden Produktion ein hohes Potenzial für einen Kinoerfolg gesehen hat. Im Endeffekt kann man aber froh darüber sein, dass dies nicht so gekommen ist. Denn seien wir mal ehrlich. Der Trend, nicht amerikanische Produktionen für den US-Markt neu aufzulegen, sorgte in der Vergangenheit für so manches Kopfschütteln. Denn das europäische Kino ist dann doch von anderen Qualitäten geprägt als der gemeine Blockbuster aus Murica.

Kann ich dem Film etwas vorwerfen, so ist es der Umstand, dass es sich hier trotz Vermarktung als Horrorfilm doch eher um ein Drama mit übernatürlichen Elementen handelt. Das mag Zuschauer, deren Erwartungshaltung eine gänzlich andere ist als das, was abgeliefert wurde, mit einem Zähneknirschen zurücklassen. TWO EYES STARING ist ein Film über Charaktere mit eher langsamer Erzählweise, bei dem der Horror unterschwellig und nicht durch Massen an klassischen Schockeinlagen geprägt ist. Ein wenig, wie es beim J-Horror der Fall ist. Bei meiner Recherche stieß auf viele Rezensionen, die das Werk genau deshalb als langatmig und sogar langweilig einstuften. Auch wenn ich persönlich diese Meinung nicht teile, so kann ich sie zumindest nachvollziehen.

TWO EYES STARING ist auf DVD und Blu-ray über die MIG Filmgroup in Deutschland erschienen. Qualitativ gibt es nichts an der Scheibe (DVD) auszusetzen. Die deutsche Synchro präsentiert sich sehr hochwertig. Erfreulich – es gibt ein umfangreiches Making-of als Bonus. In der heutigen Zeit leider eine Seltenheit.

Warum habe ich TWO EYES STARING als Film des Monats auserkoren? Weil er erfrischend anders ist, sich abhebt vom Einheitsbrei und eine spannende Geschichte im Rahmen einer hervorragend umgesetzten Produktion aufs Parkett legt. Wer mit unterschwelligem Horror und einem starken Fokus auf Charakterentwicklungen kein Problem hat, der sollte keine Sekunde zögern. Als Sammler würde ich mir den Silberling definitiv in mein Regal stellen, zumal der Preis schon fast lachhaft ist. Mehr als zwei Euro sollte euch eine Blu-ray / DVD nicht kosten.

NL-Trailer:

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